Der Heckenschnitt

Hand mit Gartenschere, schneidet einen Rosenzweig ab

Es ist schon eine kleine Tradition im Stephanusgarten: Nach »Johanni« erhalten die Hecken einen behutsamen Pflegeschnitt.

Die Natur kennt aber doch gar keinen Heckenschnitt – so zunächst die erste These.

Verkürzt gesagt hat der Heckenschnitt seinen Ursprung in der landwirtschaftlichen Flächengestaltung und im barocken Schlossgarten. Erstgenanntes kann durchaus als Symbiose verstanden werden. Denn der Bauer erhält mit der zu Hecken zurecht gestutzten Natur einen Windschutz für seinen freiliegenden Acker. Die wertvolle Erdkrume wird nicht durch Winde abgetragen. Im Gegenzug erhält die Natur – im Speziellen die Tierwelt – ein Rückzugsgebiet angeboten. Die Hecke fungiert als Nistplatz und bei dichten Bewuchs kann sie vor Feinden schützen. Die in Europa verbreitete Heckenbraunelle baut ihr Nest in dichten Büschen und schützt so ihre Brut z.B. vor Katzen. Leider haben wir im Stephanusgarten noch keine Heckenbraunelle gesichtet.

Barocke Gärten erwecken dagegen den Eindruck eines narzisstischen Gartenbesitzers und einer durch den Zirkel limitierten Natur. Vielleicht kommt ja daher die Kritik am Heckenschnitt – als von Menschenhand gemaßregelter Natur.

Also ist der Heckenschnitt der Natur unbekannt?

Einst erzählte mir ein Bekannter, dass er am Rande eines Steinbruchs eine mehrere Quadratmeter große Fläche übersät mit Bonsais aus heimischer Flora vorfand. Was war geschehen? Die Vermutung: Hier an den Rand des Steinbruchs kam immer wieder Rotwild und knabberte an den Schösslingen herum. Nie so, dass diese daran zugrunde gingen, aber auch nicht so selten, dass diese zu Bäumen und Sträuchern hätten werden können. Also gibt es den Heckenschnitt auch in der Natur, z.B. durch Tierverbiss.

Als Baum- oder Heckenschnitt wird die Beschneidung von Pflanzen jeglicher Art bezeichnet. Es werden hierbei drei Arten unterschieden, Formschnitt [Stichwort: Barock], Pflegeschnitt und Ernteschnitt. Die Vertreter einer »lass die Natur Natur sein« Auffassung könnten als Argument anfügen: Hecken schneiden ist maximaler Stress für die Pflanzen. Denn das reduzierte Blattbild steht nun im Kontrast zu einen Wurzelbild, das sich zu einer ehemals viel größeren Pflanze ausgebildet hat. Die Überversorgung durch Wurzeln für eine nun reduzierte Pflanze führt zu Stress. Gleichzeitig muss das beschnittene Blattwerk das vielleicht viel zu große Wurzelwerk mit den Produkten der Fotosynthese versorgen.

Wozu dient der pflegende Heckenschnitt?

Die Vorteile des »Schnitts« können gut am Obstbaum verdeutlicht werden. Beim Obstbaumschnitt wird der Baum ertragreicher. Der Schnitt ist ein Anreiz sich neu zu verzweigen. Er bringt mehr Licht in den Baum und entfernt das Totholz – allemal besser als ein Bruch bei einem Sturm. Der gekonnte Baumschnitt stützt das Fruchtholz welches immer einjährig ist. So kann der Baum seine durchschnittlichen »110 Äpfel« ohne Ballast reifen lassen… Dieses Thema vertiefen wir, wenn der Apfelbaum im Stephanusgarten so weit ist.

Wann ist der beste Zeitpunkt?

Ende Juni ist für die Natur das Vegetationsjahr streng genommen vorüber. Die Pflanzen bilden bereits die Winterknopsen aus. Hecken werden frühestens nach »Johanni« pflegend geschnitten. Warum eigentlich? Der Johannistag (auch Johanni, Johannisfest und Johannestag) ist das Fest welches an die Geburt Johannes’ des Täufers erinnern soll und am 24. Juni gefeiert wird. Nach Johanni schneidet man weil die meisten Tierarten mit dem Brutgeschäft fertig sind und nicht mehr gestört werden. Der so genannte Johannistrieb – also Triebe nach dem 24. Juni – stellen die Balance zwischen Wurzelbild und Blattbild wieder her, was vorher durch den Heckenschnitt in Schieflage geraten sein konnte. Johannistrieb meint den zweiten Blattaustrieb innerhalb eines Jahres. Es sind Blattknospen, die für das nächste Frühjahr angelegt sind, welche um das Datum des Johannistages am 24. Juni austreiben. Übrigens: Die Natur verwendet den Johannitrieb auch als Notfallplan. Wird z.B. ein Baum von einer Art kahl gefressen, kann der Baum mit dem Johannitrieb in der zweiten Jahreshälfte erneut Blattwerk ausbilden und die Nährstoffeinlagerung für das nächste Jahr noch ermöglichen. Muss dieser Notfallplan Jahr für Jahr – wegen erneutem Befall – wiederholt werden, geht der Baum mit großer Sicherheit daran zugrunde.

Zweite These: Ohne den menschlichen Heckenschnitt würde in der Natur vieles verbuschen

Der irritierende Bibelspruch »Du sollst Dir die Erde untertan machen« kann nur dahingehend positiv umgedeutet werden im Sinne eines »macht ab und an auch eine [naturnahe] Freifläche möglich, denn in einer zugewachsenen und verbuschten Natur hätten u.a. Schmetterlinge keine Chance.
… und doch, die Natur braucht den Menschen nicht, ohne uns würde der Waldbestand – abhängig von Bodenbeschaffenheit und Klima – zunehmen, es würde aber auch durch Tierverbiss entstandene Freiflächen für Schmetterlinge und Co. geben.
Also, entspricht der Bibelauftrag auch wieder nur einem anthroprozentrischen Weltbild …

… viel Freude mit den frisch geschnittenen Hecken,

Werner